BC: Wir erleben eine Zeit großer klimatischer Veränderungen – Hitzewellen, Überschwemmungen, Unwetter, außer Kontrolle geratene Brände in vielen Teilen der Erde - und viele Experten sagen, dass dies das Ergebnis von über 100 Jahren Raubbau an der Natur durch den Menschen sei. „Handeln und Schritte setzen“ lautet das Credo, um den drohenden Klimakollaps abzuwenden. Um dies zu schaffen, haben die Entscheidungsträger den Banken eine tragende Rolle zugeteilt. Wie sehen Sie die Rolle der Finanzdienstleister und warum sollen gerade diese jetzt die Fehler der Vergangenheit ausbügeln und die Welt retten?
CO: Lassen Sie mich mit dem zweiten Teil Ihrer Frage beginnen: Die kurze Antwort kann nur lauten „Eigeninteresse“, die lange Antwort ist einerseits, dass Langfristigkeit von Entscheidungen und Abschätzbarkeit von Risiken wesentliche Elemente der Finanzindustrie sind. Beides Dinge, die der Klimawandel massiv gefährdet bzw. erschwert und damit auch die Geschäftsaussichten bzw. den wirtschaftlichen Erfolg trübt. Andererseits – und das ist der positive Teil der Antwort- birgt die notwendige Anpassung unseres Wirtschaftssystems ungeahnte Möglichkeiten für Institute, die sich rechtzeitig und umfassend mit diesen Veränderungen auseinandersetzen. Die notwendigen Investitionen, um einen neuen Ansatz auf Schiene zu bringen, werden in die Billarden gehen und alleine vor diesem Hintergrund bekommen Finanzdienstleister automatisch eine tragende Rolle. Denn niemand – Politik, Staaten, private/institutionelle Investoren, Banken - kann alleine diese Summen stemmen.
BC: Finanzdienstleister werden seit 2008 von einer wahren Flut an Regulatorien überrollt und der EU Aktionsplan mit allen nachgelagerten Regulatorien lässt erahnen, was da auf die Finanzinstitute zukommt. Wie sehen Sie das und was raten Sie Banken?
CO: Ich denke, hier muss man eine Unterscheidung machen – die Regulatorien, die in den letzten +-10 Jahren gekommen sind, waren ein Aufholprozess der liberalen Weltwirtschaft seit den späten 1990er Jahren. Un- bzw. schwach regulierte Bereiche haben an Bedeutung gewonnen und die Gesetzgeber weltweit haben hier entsprechend nachgezogen, um existierende Geschäftsmodelle in einen regulatorischen Rahmen zu packen. Die Finanzkrise 2008 hat natürlich auch nicht geholfen, den Rahmen lockerer zu halten, da Gesetzgeber unter Druck standen, mit klaren Vorgaben für Sicherheit zu sorgen.
Die neuen Regelungen folgen einer anderen Logik, nämlich einer volkswirtschaftlichen Steuerungsfunktion.
Kein Rohstoff der Welt ist so essenziell und omnipräsent wie Geld (in jeder Erscheinungsform). Will ich also schnell und mit einem hohen Multiplikationseffekt Veränderung herbeiführen, muss ich als Regulator die Spielregeln für die Zuteilung von Finanzmitteln neu definieren. Das passiert aktuell und jene Institute, die die neuen Spielregeln schneller verstehen und in ihren Match-Plan integrieren, werden erfolgreich aus diesem Wandel herausgehen.
Der Aufwand, der für die Finanzdienstleister damit einhergeht, ist enorm, denn entlang der gesamten Wertschöpfungskette wird kein Stein auf dem anderen bleiben – Stichworte: Kreditvergabekritierien, Pricing, ESG Scoring/Rating, Sicherheitenmanagement, Reporting, Kreditüberwachung…
BC: Ist es nicht gefährlich, sich in einem sich so rasant verändernden Umfeld, wie wir es aktuell erleben, festzulegen?
CO: Veränderung birgt Risiken, das ist klar. Versuchen wir jedoch die Situation mal objektiv zu betrachten und diesen berühmten Schritt zurück zu machen– die Welt verändert sich in einem rasanten Tempo. Ich kenne niemanden, der die Meinung vertritt, dass ein Verharren in alten Mustern in der derzeitigen Situation der Weg zum Sieg ist und dies argumentativ und schlüssig belegen kann.
Wir haben grundsätzlich drei strategische Muster identifiziert, die ein Finanzinstitut aktuell übernehmen kann:
- „Ignore“ ist einfach business as usual und kurzfristige Optimierung von Gewinnen – ein Erfolgsmodell mit Ablaufdatum.
- „Comply“ übernimmt das erlernte Verhaltensmuster aus der Erfahrung von zehn Jahren regulatischer Vorgaben und setzt immer gerade das regulatorisch Notwendigste um – eine ewige Baustelle.
- „Embrace“ integriert Nachhaltigkeitsgedanken in alle Bereichen und sucht nach Möglichkeiten davon zu profitieren – eine strategische Neuausrichtung des Geschäftsmodells.
Bei allen Strategien wird es mittel- und langfristig zu Korrekturen, Kursänderungen und Fehler, die im Zuge von „learning by doing“ einfach passieren, kommen. Im Zusammenhang mit der „Embrace“ Strategie sehen wir jedoch die größte Wahrscheinlichkeit das Finanzdienstleister oder auch Unternehmer Fähigkeiten wie z.B. Agilität und Anpassungsfähigkeit, Vorausschau d.h. das Erkennen von Möglichkeiten aufbauen und sich folglich erfolgreich und profitabel am Markt etablieren.
BC: Eine langfristige Transformation kostet Zeit und Ressourcen – gibt es keine schnelleren Lösungen?
CO: Natürlich ist die Verlockung groß, bestehende Produkte einfach „grün“ zu nennen und damit den Anschein zu erwecken, es wäre nachhaltig. „Greenwashing“ ist definitiv ein Phänomen, das wir aktuell häufig beobachten. Oft passiert das nach bestem Wissen und Gewissen, einfach aus der Notwendigkeit, schnell in den Markt zu gehen. Ein nicht zu Ende gedachtes Vorgehen birgt leider die Gefahr, dass es auffliegt und die Reputation einen empfindlichen Schaden nimmt. Daher bleibt unsere Empfehlung, strukturiert an das Thema heranzugehen und einen Schritt nach dem anderen zu setzen – quick-fixes sind halt leider selten quick-wins.
quick-fixes sind halt leider selten quick-wins.
BC: Gehen wir ein wenig weiter ins Detail – Die Taxonomie Verordnung ist ein umfangreiches Werk, dessen Anwendung extremes Detailwissen in den betroffenen Branchen benötigt. Wie können Finanzdienstleister dieses Wissen aufbauen?
CO: Die Taxonomie ist der Versuch, ein umfassendes Nachschlagewerk zur Nachhaltigkeit über alle Industrien und Branchen zu erstellen. Bei erster Durchsicht (und ehrlich gesagt auch bei jeder weiteren) ist die Fülle an Informationen und Details erschlagend. Doch worauf zielt die Taxonomie wirklich ab? Es geht nicht um die 1:1 Umsetzung der Inhalte in die Kreditprüfungen der Banken, nicht um die 1:1 Umsetzung der Inhalte in die Versicherungspolizzen. Es geht darum, dass sich jede Branche an ihren spezifischen Kenngrößen messen lassen muss. Diese Messung kann nicht von Finanzdienstleistern vorgenommen werden, sondern von branchenerfahrenen Spezialisten im Vorfeld festgestellt und bestätigt werden. Die Banken werden jedoch nicht umherkommen diese Informationen in irgendeiner Art und Weise zu verplausibilisieren.
Hier kommt eine Welle an Arbeitslast auf Sachverständige, Ratingagenturen und Prüfungs-gesellschaften zu, denn Finanzdienstleister werden sich auf deren Urteil verlassen oder berufen. Meiner Meinung nach werden Strukturen geschaffen werden, die eine standardisierte Berichterstattung (mit dem „Vokabular“ der Taxonomie) ermöglicht, auf Basis derer dann Finanzdienstleister ihre Schlüsse ziehen können. Wie in der finanziellen Berichterstattung wird ein Grundverständnis über die wesentlichen Kennzahlen bestimmter Branchen notwendig sein, nicht jedoch eine vollumfängliche/detaillierte Kenntnis der konkreten Herleitung/Methodik, welche ja durch den z.B. Sachverständigen oder die Ratingagenturen bestätigt wurden.
BC: Angenommen ein Institut hat sich entschieden, die „Embrace“ Strategie zu verfolgen – was wären die nächsten Schritte?
CO: Initial ist es notwendig eine Bestandsaufnahme zu machen – welches Portfolio habe ich aktuell? Welche Risiken monitore ich schon heute? Wohin will ich mich entwickeln? All diese Fragen (und noch viele weitere) führen zu einer Nachhaltigkeitsstrategie, die mit der bestehenden Geschäftsstrategie und Risikostrategie verheiratet werden muss. Damit sind dann schon die Eckpfeiler für ein großangelegtes Transformationsprogramm, das alle Bereiche im Haus betrifft, gesetzt. Wichtig hierbei ist es, ein dezidiertes Program-Management-Office aufzusetzen, das nicht nur die Implementierungsarbeiten im Haus, sondern auch die regulatorische Entwicklung beobachtet und koordiniert. Nachhaltigkeit ist kein regulatorisches Umsetzungsprojekt – es ist eine institutsweite Transformation und mit einer entsprechenden Ernsthaftigkeit muss diese auch verfolgt werden.
Informationen zu Mag. Christoph Obermair
Er ist Partner bei PwC Österreich und verantwortet neben dem Themengebiet "Risk & Regulations" auch die "sustainable finance" Agenden der PwC Advisory. Seit seinem Eintritt bei PwC vor 13 jahren berät er Unternehmen bei der Umsetzung regulatorischer Vorgaben und der entsprechenden Anpassung der jeweiligen Geschäftsmodelle.