Wenn ein Unternehmen ein fehlerhaftes Produkt oder eine unzureichende Dienstleistung anbietet, wodurch viele Einzelpersonen geschädigt werden, diese aber jeweils nur einen vergleichsweise geringen Schaden erleiden, ist für die Betroffenen der Gang vor Gericht oft zu aufwendig. In Österreich wird seit etwa 25 Jahren darüber diskutiert, wie ein effizientes Sammelklagesystem eingeführt werden könnte. 2004 gab es die erste Arbeitsgruppe zur Prüfung gesetzlicher Möglichkeiten für eine ökonomische und sachgerechte Bewältigung von Massenklagen. Ein Ministerialentwurf folgte 2007, verschwand jedoch „in der Schublade“. Beholfen hat man sich in Österreich bislang mit der sogenannten Sammelklage österreichischer Prägung, die auf einem Abtretungsmodell basiert.
Besonders spannend wurde das Thema in Österreich im heurigen Sommer, als kurz vor der Sommerpause die Gesetzesnovelle zur Umsetzung der Verbandsklage-Richtlinie (VRUN) beschlossen wurde. Die Erwartungen an die Umsetzung der Richtlinie waren groß und die Forderungen an den Gesetzgeber lang. Ziel sollte sein, ein neues österreichisches Verbandsklagesystem zu schaffen, das den Zugang zum Recht erleichtert, die Prozessökonomie fördert und somit eine schnellere, effektive Prozessführung ermöglicht.
Dr. Prossinger gab einen prägnanten Überblick über den aktuellen Stand der Verfahren. Ein Kritikpunkt ist unter anderem, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) von dem neuen Verbandsklage-Regime nicht erfasst sind. Allerdings wird der sachliche Anwendungsbereich erweitert: Gegenstand der neuen Verbandsklagen kann jedes rechtwidrige Verhalten eines Unternehmers sein, das kollektive Interessen von Verbrauchern beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht (so auch beispielsweise im Bereich Kartellrecht, Compliance sowie zu ESG- und Lieferkettenthemen).
Dr. Prossinger ging auch auf die sogenannten „Qualifizierten Einrichtungen“ (QE) ein, die laut Gesetz berechtigt sind, eine Verbandsklage zu erheben. Diese juristischen Personen müssen von den EU-Mitgliedstaaten als QE anerkannt und für grenzüberschreitende Verbandsklagen in das Verzeichnis der EU-Kommission eingetragen werden. Dementsprechend darf nicht jeder Verband eine Verbandsklage einreichen. Auf diese Weise soll unseriösen Akteuren vorgebeugt werden. Einige Einrichtungen wurden in Österreich bereits gesetzlich als QE anerkannt. Beim Bundeskartellanwalt, der in Österreich als Aufsichtsbehörde der QE fungiert, sollen bereits Anträge zur Zulassung anderer Verbraucherschutzorganisationen vorliegen.
Wie fällt nun das Fazit aus?
Das neue Verbandsklage-Regime hat die Erwartungen und Forderungen nicht zur Gänze erfüllt, das Ziel der Förderung der Prozessökonomie wurde damit noch nicht vollständig erreicht. Es verbleiben viele offene Fragen. Die Vorteile des neue Verbandsklage-Regimes gegenüber der bisher verfügbaren Sammelklage österreichischer Prägung sind daher derzeit noch nicht klar ersichtlich.
Unternehmen und Verbraucher müssen sich also noch gedulden, bis das System vollständig etabliert ist. Auch Forschung und Lehre werden in der Weiterentwicklung eine Rolle spielen. Nach dem Vortrag entspann sich eine angeregte Diskussion, in der viele Fragen aus dem Publikum aufgegriffen wurden – ein klarer Hinweis darauf, wie spannend und relevant das Thema derzeit ist.