Dass Führung nicht wenig mit der Gesundheit der Geführten und der Führenden zu tun hat, ist ein Gemeinplatz. Wechselt eine Führungskraft den Arbeitgeber, nimmt sie gar die „AU-Quoten“ mit in die neue Führungsposition, aber auch Mitarbeitende können die Führungskraft krank machen. Wo Menschen unter Menschen sind wird es eben nicht leichter – umso gelingender und erfüllender sind wertschätzende, stärkende und freimachende wechselseitige Führungserfahrungen.
Seit vielen Jahrzehnten wird das Mirakel der Führung auch wissenschaftlich untersucht und verhandelt. Wie führt man gut und gesund? Wird man zum Führenden geboren oder gemacht? Welche Rolle spielt das Verhältnis (die Organisation), welche das Verhalten (von Führendem und Geführten)? Und vieles mehr. Gleichzeitig wird in der Praxis, aus zumeist psychologisch oder soziologisch fundierten Führungstheorien, oft ein Bündel an Führungsstilen, Instrumenten, Ansätzen etc. vereint. Aber der nicht selten Wundergleiche bleibt doch auch in praktischer Verantwortung bestehen: Wer kennt Führungskräfteseminare die nachhaltig wirken? Hoffentlich so einige, aber wer weiß warum?
Unscharfe ROIs und mangelnde Alternativen in der Führung
Wenn es um das Management i.S.v. Ressourcenentscheidungen geht, werden die ROIs von Führung selbst, ihrer Entwicklung und Pflege nicht eben eindeutig beschrieben. Es ist weder theoretisch so klar, wie mancher es sich vorstellen mag, wie Führung wirken mag, noch ist es praktisch oft eindeutig. Eine allzu quantitativ-kausal inspirierte Messvorstellung geht aber am methodischen und letztlich auch betrieblichen Ziel vorbei. Warum? Weil es letztlich zu einer guten Führung schlicht keine Handlungsalternative gibt, die überzeugen könnte. Unschärfen sind daher in Kauf zu nehmen. Freilich können jene m.E. nicht grundsätzlich beseitigt, so doch reduziert werden durch einen ersthaften und strategischen Angang bei Entwicklung und Umsetzung.
Denn, wo Arbeitsmärkte so unelastisch werden wie Gusseisen, wo Pflegende, Ärztinnen und Ärzte, ja letztlich nahezu alle Arbeitnehmer in der Versorgung im Gesundheitswesen (aber auch in der Forschung etc.) zu Subjekten der Begierde werden, da immer deutlicher wird, dass auch GenAI und OptimusGen2 den Laden nicht schmeißen werden und dies auch nicht sollen, dort ist Führung die Finaloption, um die vielzitierte (und wenig erreichte) hohe Arbeitgeberattraktiviät auch wirklich in Sozialkapital (wie Vertrauen) einzulösen. Freilich zählt auch der Lohnzettel, aber gut geführt zu werden oder gut Führen zu dürfen ist selber ein Substanztreiber für die Gesundheit. Und gerade in Organisationen des Gesundheitswesens erscheint es nicht unvernünftig, eben gesunde Führung erwarten zu dürfen. Hätte der Schuster nicht die schlechtesten Schuhe…
Dass Führung zudem „Cheffinnensache“ sein müsse, mag auch ein wenig tautologisch daherkommen. Wenn die Führenden selbst Führung nicht für eine strategische Priorität halten, wer dann?
Noch dazu haben wir es gerade auch im Gesundheitswesen mit harten Auswirkungen von Polykrisen zu tun, die einen echten Change, eine wirkliche Transformation, eine nachhaltige Resilienz zum kritischen Erfolgsfaktor werden lassen – PPT-Folien reichen lange nicht mehr. Es kommt auf konkrete und nachhaltige Maßnahmen an. Der Investitionsstau in Sachen „Führung“ kann ein Haus Kopf und Kragen kosten. Jeder Riskomanager, jede Gefährdungsbeurteilung, jede Score-Card usw. wird „Führung“ auf dem Zettel haben und haben müssen.
Gute Nachrichten
Aber es gibt auch gute Nachrichten: Denn eigentlich ist das schwere gar nicht so schwer. Ebenso wenig leicht. Aber doch machbar. Dort, wo gute, gesunde Führung nachhaltig wird, entsteht eine positive Kultur. Und mit ihr eine gewisse Widerständigkeit gegen negative Einflüsse. Fachkräfte in der Gesundheitsbranche erwarten heute Führungsstandards, wie sie in gut aufgestellten Innovationsindustrien – und auch dort nur teilweise – üblich sind. Digital, agil, auf Augenhöhe, kultursensibel, offen und vieles mehr steht auf dem Wunschzettel. Damit dürften aber die meisten Institutionen wie Krankenhäuser, Praxen oder Pflegeinrichtungen deutlich überfordert sein. Wie in einer Station unter extremen Ressourcendruck und dem Grundanliegen, Menschen zu helfen, nun auch noch gut führen? Wo doch nachgerade die gesamte Medizinaltradition klar autoritär-paternalistisch orientiert war. Da war nix mit Augenhöhe und Co.
Diversitätsanspruch der Führung?
Dabei kann „Führung“ ohne Diversitätsanspruch schwerlich überzeugen, dass Frauen im Übrigen im Gesundheitswesen weltweit häufiger an Burnout leiden, ist so erwartbar, wie die traurige Tatsache, dass Führungskompetenzen weder im Studium noch in der ärztlichen Facharztausbildung heute eine Rolle spielen. Dabei kann man Führung durchaus lernen, nicht jeder gleich gut und gleich schnell, aber es geht. Die Persönlichkeit spielt dabei eine Rolle, die Führungspersönlichkeit ist in der emotionalen Sphäre in Grenzen aber entwickelbar. Auch hier ist alles ein Prozess. Zudem ist das Führen notwendig unterschiedlicher Persönlichkeiten nochmal komplex verspannt mit der eigenen Persönlichkeit.
Lösung im Dialog!
Die Lösung liegt im Dialog mit anderen Institutionen, im voneinander Lernen, welche inkrementellen, kleinen Schritte die Häuser Schritt für Schritt in Richtung gute Führung bringen. Deskriptiv gibt es nie überhaupt keine guten Führungskräfte in einer Organisation, aber der Anteil mag aus verschiedensten, oft historischen Gründen recht überschaubar sein. Aber es gibt sie und mit ihnen Hoffnung auf mehr. Normativ ist es dabei unerlässlich, dass das Top-Management gute Führung vorlebt, nicht in Perfektion – die ohnehin nicht erreichbar scheint und auch nicht muss – aber doch intensiv und engagiert; und zudem Ressourcen bereitstellt, um das Thema in der Breite zu verankern, mit Führungskompetenzmodellen, Training die passen, Kollegialansätzen etc. – sich immer wieder selber klarwerdend, dass Führung ein unabschließbarer Veränderungsprozess auch und zuvorderst für den Führenden selbst ist.
Gesundheit in der Führung
Dazu zählt auch wesentlich, dass die Führungskräfte ihre eigene Gesundheit ernst nehmen und als Element eigener guter Führung erkennen und anzunehmen lernen, denn so nehmen Mitarbeitenden authentisch den von der Führungskraft vermittelten Anspruch auf gute und gesunde Führung wahr. Damit können Führungskräfte das Verhalten ihres Teams positiv beeinflussen, in Aspekten des Gesundheitsverhaltens ebenso, wie in Aspekten von Wertschätzung aber auch was die eigene Stellung zur Leistung angeht.
Menschen sind in ihrer unaufgebbaren Würde immer auch als jeweilige zu achten und für Führung bedeutet dies, auf jeden einzelnen Geführten auch individuell und achtsam einzugehen. Ohne sich selber aus dem Blick zu verlieren. Die Mitte zwischen zu großer Nähe und zu großer Distanz ist genau das, was wir meinen, wenn wir im professionellen Umfeld von „Respekt“ sprechen – „die Alten“ kannten noch den Begriff der „Achtung“.
Verantwortung als Führungskraft
Was bedeutet dies alles für die eigene Verantwortung als Führungskraft? Den Weg zu beginnen mit ersten, mutigen Schritten. Denn es gibt dazu keine Alternative, weder ökonomisch, noch moralisch. Und mit jedem Erfolg wird sich die Kulturveränderung einstellen, langsam, über Jahre, nicht disruptiv und in Quartalsberichten. Aber sie bewegt sich doch. Und mit einer immer besser aufgestellten Führung kann die ganze Belegschaft gut auf die strategischen und operativen Herausforderungen im Geschäft eingestellt werden, sodass der institutionelle Erfolg auch als der Eigene wahrgenommen werden kann. Wie immer der jeweilige Weg des Hauses aussehen mag, gute und gesunde Führung bringt Erfolg. Auch und gerade im Gesundheitswesen. Wer „Führung“ als Thema für sich, für die anderen und sein Haus nur halbherzig angeht, wird später „gute“ Argumente finden, warum diese oder jene Maßnahmen mit Führungsbezug eben doch nicht gewirkt haben, wie man es sich gewünscht hätte. Was für eine Überraschung. Wunder sind nicht zu erwarten. Aber Fortschritte. Und das zählt.
Über den Autor:
Prof. Dr. Stefan Heinemann ist Professor für Wirtschaftsethik an der FOM Hochschule und gewähltes Mitglied der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen, außerdem Sprecher der Ethik-Ellipse Smart Hospital an der Universitätsmedizin Essen und beschäftigt sich mit der ökonomischen und ethischen Perspektive auf die digitale Medizin und Gesundheitswirtschaft. Professor Heinemann engagiert sich zudem für die Themen Kommunale Versorgung, Nachhaltigkeit und Wandel. Er ist wissenschaftlicher Leiter des HAUPTSTADTKONGRESS Lab (Springer Medizin, Wiso). Er ist Leiter der Forschungsgruppe "Ethik der digitalen Gesundheitswirtschaft & Medizin" am ifgs Institut für Gesundheit & Soziales der FOM Hochschule, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von 10xD, Mitglied der "Arbeitsgruppe KI in der Inneren Medizin" im Rahmen der Kommission "Digitale Transformation der Inneren Medizin" sowie Fachberater in verschiedenen Forschungs- und Bildungseinrichtungen. Darüber hinaus ist der Philosoph und Theologe Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats "Digitale Transformation" der AOK Nordost, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Arbeitskreises Gendersensible Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Bielefeld, Mitglied des Beirats des Instituts für PatientExperience der Universitätsmedizin Essen und Mitglied des sozial- und gesundheitspolitischen Beirats der BARMER Landesvertretung Nordrhein-Westfalen. Außerdem im Vorstand der Kölner Wissenschaftsrunde, Vorstandsvorsitzender der "Science City Essen" und Mitglied des Kuratoriums von sneep e. V., einem studentischen Netzwerk für Wirtschafts- und Unternehmensethik. Er ist Mitinitiator von www.dataprotection-landscape.com, einer Plattform für die Mehrdimensionalität des Datenschutzes.
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