Neue Arbeitswelten: Wo sehen Sie die zentralen Herausforderungen der Pflege in den nächsten 5 Jahren?
Im österreichischen und weltweiten Pflegepersonalengpass und konsequentem Einsatz moderner Technologien, Robotik und Digitalisierung. Zunehmende Komplexität und Agilität des Systems erfordern aus meiner Sicht eine Organisationsentwicklung. Da Pflegende eine Schlüsselposition in den Gesundheitseinrichtungen einnehmen, haben sie hierbei eine wichtige Verantwortung der Mitgestaltung wahrzunehmen.
Meiner Meinung nach ist die Erarbeitung einer langfristig wirksamen Strategie für die anstehenden Aufgaben gemeinsam mit den anderen Berufsgruppen, den Bildungseinrichtungen und den Politiker:innen dringend notwendig und überfällig.
Welche beruflichen und persönlichen Anforderungen und Kompetenzen braucht es, um in der Pflege eine Führungsaufgabe/rolle übernehmen zu können?
Um mit den persönlichen Anforderungen zu beginnen, stehen für mich an den vorderen Stellen ein humanistisches Menschenbild, Empathie, Authentizität, Zuverlässigkeit und Selbstreflexionsfähigkeit. Unter dem beruflichen Aspekt sehe ich die Freude an der fachlichen Arbeit und Personalführung und die Fähigkeit des visionären Denkens als wichtige Voraussetzungen. Kompetenz und Souveränität ermöglichen positives Leadership effektiv umzusetzen. Damit meine ich die Selbstführung, konstruktive Teamführung, Förderung des Miteinander, der Freude und der Vermittlung der sinnstiftenden Aspekte der Arbeit. In dieser dynamischen Zeit braucht das Team Orientierung, Zielklarheit und Entscheidungstransparenz bei Beteiligung an der Aufgabenvergabe und Vertrauen.
Sie sind Initiatorin des innovativen Führungsmodells der Tandem-Führung bei den Barmherzigen Schwestern Wien. Können Sie dieses Modell kurz beschreiben?
Es handelt sich um eine zeitlich begrenzte Doppelführung, zur Einführung einer Junior Bereichsleiter:in. Konkret handelt es um eine temporäre gemeinsame Fahrt bei der der „Captain“ (vordere Tandemposition) ein/e neue „Stoker:in“ (hintere Tandemposition) ein Jahr durch die Startphase lenkt. Das Ziel ist, dass die Stoker:in sukzessive die Rolle des Captains übernimmt und dieser die Rolle nach einem definierten Zeitraum abgibt.
Beide tragen von Anfang an Führungsverantwortung für diesen Bereich. Für eine erfolgreiche Tandemfahrt muss sie auf der Top-Ebene angesiedelt sein. Voraussetzungen sind die persönliche und fachliche Passung des Tandems, eine klare Aufgabenverteilung, sehr gute Kommunikation im gesamten Unternehmen und regelmäßige Reflexion und Begleitung durch die Pflegedirektion sowie der richtige Zeitpunkt unter Abwägung der Risiken.
Wo sehen Sie die Vorteile der Tandem-Führung?
Den wesentlichen Vorteil sehe ich in der Stärkung des Unternehmens. Das Onboarding junger, engagierter, hochqualifizierter und talentierter Führungskräfte ist dadurch möglich. Nach meiner Überzeugung müssen sich die Generationen der Teams auch im Führungsteam widerspiegeln. Nur so kann Generationen-sensibles Führen gelingen.
Durch die Doppelführung reduziert sich das Risiko bei der Neubesetzung mit einer wenig führungserfahrenen Junior - Bereichsleiter:in. Entscheidungen, die beide gemeinsam treffen sind solide und tragfähig. Um bei unserem Beispiel zu bleiben, kann sich die Führungsqualität durch den Nutzen weiblicher und männlicher Stärken verbessern.
Es ist eine Entwicklungschance für das gesamte Team und Motivator. Für beide Bereichsleitungen gibt es durch den kontinuierlichen Dialog die Möglichkeit der Erweiterung des Blickwinkels und somit individueller Weiterentwicklung.
Wie sehen Sie die Ansprüche und Bedürfnisse der Generation Z an einen modernen Arbeitsplatz? Was ist aus Ihrer Sicht besonders wichtig für eine gezielte Nachwuchsführungskräfteentwicklung?
Die Generation Z hat sehr klare Vorstellungen von ihrem Arbeitsplatz, kommuniziert dies selbstbewusst und übernimmt somit Mitverantwortung für die Weiterentwicklung der Arbeitswelt, was ich sehr begrüße. Ich erlebe momentan, dass sich die Berufsgruppen der Generation Z miteinander im Arbeitsalltag leichter tun. Die Vereinbarkeit mit dem Privatleben, flexible Arbeitszeitmodelle, persönliche Identifikation mit ihrer Tätigkeit und Wertschätzung, Vielfältigkeit der Aufgaben, Arbeitsplatzsicherheit, Fortschrittlichkeit und Digitalisierung stehen bei ihnen an oberster Stelle. Flache Hierarchien, offene Kommunikation, Gestaltungs- und Entfaltungsspielraum, Beteiligung bei Entscheidungsprozessen und Vertrauen in ihre Kompetenz und Verbindlichkeit fordern sie von ihrer Führungskraft ein.
Für die gezielte Nachwuchsförderung benötigt es die frühzeitige Identifikation der Potenzialträger:innen, Karriereangebote, gezielte Begleitung und Bindung durch entsprechende Angebote. Führungspositionen müssen spannend und zukunftsweisend gestaltet werden.
Auch in dieser Hinsicht hat die Generation Z oft sehr klare Vorstellungen und ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Es lohnt sich dieser Generation zuzuhören, die vieles in Frage stellt und ein Überdenken einfordert und Neudenken ermöglicht.
Welche Trends werden die Pflege in den nächsten 5 Jahren am meisten und nachhaltigsten beeinflussen aus Ihrer Sicht?
Die Trends hängen zum einen mit dem Anspruch der Generation Z zusammen, zum anderen mit der gesellschaftlichen und globalen Entwicklung. Fünf Jahre sind schwer vorhersehbar. Um nur einige zu nennen, so wird sich der Trend der Digitalisierung, moderne Technologien und der medizinische Fortschritt nicht aufhalten lassen. Hochspezialisierte Medizin erfordert hochspezialisierte Pflege, somit wird sich der Trend zur Fachexpertise verstärken.
Der Anspruch wissenschaftlich fundiert zu arbeiten und zu agieren, zeigt die hervorragende Pflegestudie MISSCARE – Austria Studie auf. Hier wird es einen deutlichen Qualitätssprung in der Krankenpflege geben. Ebenso wird sich die Selbstständigkeit der Pflegenden etablieren. Nach meiner Einschätzung wird die Ambulantisierung und Verkürzung der Verweildauer der Patient:innen eine Neubewertung des Krankenhausbettenbedarfes in Österreich erfordern. Insofern kann sich das positiv auf den Pflegepersonalbedarf auswirken.
Die bereits gestarteten Projekte im Sinne der Entwicklung klimafreundlich arbeitender Krankenhäuser sind ein wichtiger Schritt, um junge Menschen für diesen Bereich zu gewinnen. Die Gesellschaft wird sich verändern, die Patient:innen werden sich noch mehr am Prozess beteiligen und nach meiner Überzeugung wird der Pflegeberuf deutlich an Ansehen in der Gesellschaft gewinnen.
Weitere Führungsthemen der Akut-, der Langzeit- und der mobilen Pflege stehen am 27. / 28. April 2023 beim diesjährigen Pflege-Management Forum 2023 auf der Agenda.