Dr. Christian Richter-Schöller ist Rechtsanwalt bei DORDA und Co-Leiter der Sustainability Group. Wir sprechen über Erwartungen und Risiken der CSDDD und wie es gelingen kann, aus regulatorischen Vorgaben Innovation zu generieren.
Business Circle: Sehr geehrter Herr Dr. Richter-Schöller, in unserem letzten Interview haben Sie der CS3D gewisse schizophrene Züge attestiert, zumindest, was die Finanzindustrie angeht. Hat sich da inzwischen etwas getan und welche Entwicklungen erwarten Sie?
Christian Richter-Schöller: Es hat sich nichts getan und ich befürchte, die Schizophrenie ist mittlerweile pathologisch geworden. Aus meiner Sicht ist klar, was der Gesetzgeber wollte: Der Finanzindustrie Erleichterungen hinsichtlich der Downstream-Aktivitätskette verschaffen. Das geht aus Entstehungsgeschichte und Gesetzestext ganz eindeutig hervor. Und darauf würde ich mich im Moment mal berufen. Dabei darf man eben nur nicht vergessen, dass es Stimmen gibt, die insbesondere aufgrund der missverständlichen Erwägungsgründe diese Erleichterungen wieder einschränken wollen. Ich gehe davon aus, dass dieses Thema in einer der nächsten FAQ (eine gibt es ja schon) adressiert werden wird.
BC: In der EU arbeiten schätzungsweise mehr als 30.000 Beamte vor allem an Regularien. Sehen Sie rechtliche Rahmenbedingungen wirklich als unterstützend an, oder werden Unternehmen durch übermäßige Regulierung eher behindert? Beziehungsweise gibt es irgendwo so etwas wie einen Turning point?
Richter-Schöller: Die Frage stellen sich wohl gerade viele. Ich glaube nur, sie ist falsch herum gestellt. Unternehmen sind nicht profitabel, weil sie Regeln erfüllen. Unternehmen sind profitabel, weil sie Produkte oder Dienstleistungen herstellen, die anderen Menschen helfen. Darauf muss der Fokus liegen. Niemand macht sich selbständig, um am Ende der Berufslaufbahn zu sagen: Juhu, ich war immer 100 % compliant und 0 % Risiko, was für ein toller Erfolg.
BC: Wie kann Raum für Innovation entstehen, wenn die regulatorischen Vorgaben immer strikter und enger werden?
Richter-Schöller: Das schließt sich nicht aus, wenn die Vorgaben gut genug sind. Der Binnenmarkt ist ein super Beispiel. Viele Regeln wären einfach schon dann hilfreich, wenn sie wirklich überall im Europäischen Wirtschaftsraum gleichermaßen – und mit gleicher Vorhersehbarkeit – angewendet würden. Innovationen werden ja häufig nicht durch die Regeln, sondern durch deren Unklarheit verhindert. Inhaltlich kann man natürlich immer diskutieren, was der Zweck der Regeln sein soll. Dass der Green Deal an sich verfolgenswerte Ziele hat, wird aber wohl kaum jemand leugnen.
30-seitige Fragebögen und 60-seitige Supplier Codes of Conduct treffen nicht den Kern des Problems
BC: Viele argumentieren, dass strengere Sorgfaltspflichten Unternehmen robuster machen. Würden Sie sagen, dass dies auch kurzfristig gilt, oder überwiegt zunächst der organisatorische Aufwand?
Richter-Schöller: Unser Zugang ist: Lieferkettenregeln sind nur dann richtig umgesetzt, wenn die Lieferant:innen-Beziehung am Ende stärker ist als am Anfang. Das erreicht natürlich nicht, wer an alles und jeden 30-seitige Fragebögen verschickt und um die Unterzeichnung von 60-seitigen Supplier Codes of Conduct bittet. Sondern nur, wer sich echt damit auseinandersetzt, welche Pflichten er hat (und die sind nicht so umfangreich, wie manche meinen) und gegenüber welchen Lieferant:innen (und das heißt nicht automatisch gegenüber allen, wie manche meinen). Aber wer das risikobasiert angeht, weiß nach dem Prozess mehr über den:die Geschäftspartner:in als vorher. Das ist immer ein Rezept für eine tiefere Bindung.
BC: Glauben Sie, dass die Umsetzung des Lieferkettengesetzes in der Praxis dazu führen könnte, dass Unternehmen in Länder mit weniger strengen Regulierungen ausweichen?
Richter-Schöller: Das ist ein denkbares Szenario. Rechtlich ist dabei zu beachten, dass auch Unternehmen mit Sitz in Drittländern von der CSDDD erfasst sein können, wenn sie im Europäischen Wirtschaftsraum einen relevanten Umsatz erwirtschaften. Offshoring heißt also nicht gleichzeitig zwingend auch Abschied von der CSDDD.
BC: Wie bewerten Sie das Risiko, dass durch das Gesetz Arbeitsplätze in Schwellenländern verloren gehen könnten, da Unternehmen einen Anreiz haben, statt auf menschliche Arbeit auf Automatisierung zu setzen?
Richter-Schöller: Auch das ist ein denkbares Szenario. Genau wie Nearshoring, also Lieferant:innen wieder zurück in den Europäischen Wirtschaftsraum zu holen. Wir wissen schlicht nicht, wie sich das Gesetz auswirken wird. In einem solchen Maßstab gab es noch nie ein vergleichbar ambitioniertes Gesetz. Was klar ist: Die CSDDD will sicher nicht die massenhafte Kündigung von Lieferant:innen-Verträgen. Wer das behauptet, versteht die Mechanik nicht. Ob das, was die CSDDD will, unbedingt das ist, was sie bringen wird, steht auf einem anderen Blatt.
BC: Abschließend: In letzter Zeit haben Sie jetzt mehrere Male bei uns vorgetragen, was ist für Sie das Besondere an Business Circle?
Richter-Schöller: Die Kombination aus inhaltlicher Freiheit, fachlichem Austausch und perfekter Organisation. Ich bin einfach ein großer Fan!
BC: Vielen Dank für das gute Feedback 😊. Wir freuen uns sehr, Sie zum Circular Economy Exchange wieder persönlich zu begrüßen!
Dr. Christian Richter-Schöller ist Rechtsanwalt bei DORDA und Co-Leiter der Sustainability Group. Seine Schwerpunkte sind Bank- und Kapitalmarktrecht, Versicherungsaufsichtsrecht und Nachhaltigkeitsrecht. Er ist Autor zahlreicher Fachpublikationen und trägt insbesondere zu Sustainable Finance und Lieferkettenregeln auch regelmäßig an Universitäten, Fachhochschulen und Aus- und Fortbildungseinrichtungen vor. Zuletzt gab er das "Praxishandbuch Nachhaltige Finanzierung" (2023) heraus. Beim Austrian Circular Economy Exchange hält er die Eröffnungs-Keynote zum Thema: „Mehrwert durch Kreislaufwirtschaft: Rechtliche Rahmenbedingungen unterstützen die Umsetzung“.