Business Circle: Liebe Frau Schönberg, eingangs etwas Persönliches: Was hat Sie damals bewogen, Schönberg Consulting zu gründen und wie sehen Sie heute Ihre Rolle als Unternehmerin?
Valerie-Sophie Schönberg: Anfang 2020 fügte sich vieles: äußere Einflüsse, zufällige Begegnungen und meine eigene Suche nach dem „Traumjob“, den ich damals nicht am Markt fand. Trotz kritischer Stimmen entschloss ich mich zur Gründung – das Risiko war überschaubar, das Lernpotenzial jedoch enorm.
Vier Jahre später bin ich dankbar, täglich mit inspirierenden Persönlichkeiten und Unternehmen zu arbeiten und echte Veränderungen zu bewirken. Besonders spannend finde ich Projekte, bei denen das „Warum“ von Anfang an klar ist und ich unterstütze, die Vision zu konkretisieren und den Weg dorthin zu gestalten. Dabei kann ich meine Expertise aus Projekt- und Prozessmanagement, Kreativtechniken, Workshop-Moderation und Beratung zielführend einbringen.
Diese Vorgehensweise weist große Parallelen zu Unternehmen auf, die sich der Kreislaufwirtschaft nähern. Wenn sie den Mut haben, sich den „harten Fragen“ zu stellen und den temporären Performance-Drop einer Transformation zu akzeptieren, können sie langfristig zu Vorreitern werden und sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch einen echten Mehrwert schaffen. Die entscheidenden Faktoren dabei sind: Vision, Motivation, klare Kommunikation, kalkuliertes Risiko und Umsetzungsstärke.
BC: Change-Prozesse werden dann angenommen, wenn sie sich für ein Unternehmen „rechnen“. Haben Sie Beispiele für erfolgreiche Use-Cases, bei denen die Implementierung von Kreislaufwirtschaft in den Unternehmen hilft, Ressourcen und Kosten zu sparen?
Schönberg: Die Berechnung der Wirtschaftlichkeit von Kreislaufwirtschaftsansätzen gestaltet sich oft als herausfordernd. Traditionelle Finanzmodelle sind meist nicht auf zirkuläre Geschäftsmodelle ausgerichtet, viele ökologische und soziale Vorteile, wie Ressourcenschonung oder Abfallreduktion, sowie der Mehrwert in Bereichen wie Employer Branding und Kundenbindung lassen sich schwer in klassischen Finanzkennzahlen erfassen. Unternehmen können jedoch auf Produktebene, Prozessebene und Geschäftsmodellebene signifikante Einsparungen erzielen.
Drei erfolgreiche Beispiele aus Österreich verdeutlichen dies: Kern Tec verarbeitet Obstkerne aus der Saftproduktion, wie Marillen, Kirschen und Zwetschken, zu Milchalternativen, Ölen und Kosmetika – so wird das Nebenprodukt eines Unternehmens als Ressource für das Produkt eines anderen Unternehmens, was wiederum CO2 und Wasser einspart. Auf Prozessebene zeigt eine Branchenpartnerschaft zwischen Saint-Gobain, Porr und Saubermacher, wie Gips aus Bauabfällen recycelt und für neue Gipsplatten verwendet wird, wodurch Primärrohstoffabbau, Energiekosten und Abfallmengen reduziert werden. Das Unternehmen BauKarussell wiederum setzt auf die Wiederverwendung von Baumaterialien wie Holz, Ziegeln und Beton aus Abbruchprojekten, was sowohl Entsorgungs- als auch Materialbeschaffungskosten senkt und gleichzeitig den Ressourcenverbrauch und den Transportaufwand minimiert.
Solche Veränderungsprozesse sind jedoch nicht nur rechnerisch und organisatorisch herausfordernd, da sie neue Methoden und Systeme zur Umsetzung benötigen. Es ist auch entscheidend, alle Stakeholder aktiv einzubinden. Proaktive und transparente Kommunikation, ein hohes Maß an Frustrationstoleranz und die Fähigkeit, Veränderungen flexibel zu gestalten, sind entscheidend, um diese Transformation erfolgreich zu bewältigen.
BC: Nur was man messen kann, kann man auch steuern: Welche Messgrößen und Kennzahlen sind für Unternehmen am wichtigsten, um Fortschritte in der Kreislaufwirtschaft zu messen und transparent zu kommunizieren?
Schönberg: Da Investitionen in die Kreislaufwirtschaft oft langfristig angelegt sind, ist es wichtig, differenzierte Indikatoren zu verwenden, um Fortschritte messbar und transparent zu machen.
Auf Unternehmens- und Materialebene stehen Kennzahlen wie die Circularity Performance, das Circular Transition Indicators Framework und der Carbon Footprint im Fokus. Diese erfassen die Kreislauffähigkeit eines Unternehmens und dessen Ressourcennutzung, einschließlich Effizienz und ökologischer Auswirkungen. Ergänzend bieten die Ökobilanzierung und die Materialflussanalyse tiefere Einblicke in die Ressourcennutzung und helfen bei der Optimierung der Materialkreisläufe.
Auf Produktebene sind Messgrößen, die den gesamten Lebenszyklus eines Produkts – von Entwurf über Nutzung bis zur Wiederverwertung – abdecken, essenziell. Sie bilden die Grundlage für Rücknahmeprozesse und kreislauffähiges Design und unterstützen insbesondere Unternehmen, die Produkte entwickeln.
Regelmäßige Monitoring-Maßnahmen, klare KPIs und kritische Erfolgsfaktoren (KEFs) sind dabei entscheidend, um Fortschritte zu evaluieren. Der Demingkreis (Plan-Do-Check-Act) bietet hier ein bewährtes Modell, um Prozesse iterativ zu verbessern und an neue Herausforderungen anzupassen.
Circularwashing stellt die Glaubwürdigkeit des gesamten Konzepts auf die Probe
BC: Wie kommunizieren Unternehmen ihre Erfolge in Bezug auf Circular Economy am besten, ohne sich dem Vorwurf des „Greenwashing“ auszusetzen?
Schönberg: Greenwashing umfasst das Übertreiben oder Irreführen bei ökologischen Aussagen, ohne dass reale Veränderungen dahinterstehen. Ein besonders problematisches Phänomen in diesem Kontext ist „Circularwashing“ – der Versuch, ein Unternehmen oder Produkt als kreislauffähig darzustellen, ohne tatsächlich substanzielle Kreislaufwirtschaftspraktiken umzusetzen.
Dies ist nicht nur eine Form des Greenwashings, sondern stellt die Glaubwürdigkeit der gesamten Transformation auf die Probe. „Circularwashing“ gefährdet die langfristige Akzeptanz der Kreislaufwirtschaft als Geschäftsmodell, da es den Eindruck erweckt, dass Unternehmen ihre Verantwortung für Nachhaltigkeit nur halbherzig oder gar nur zu Marketingzwecken annehmen. Es lenkt den Fokus von echten, langfristigen Veränderungen ab und kann bei Stakeholdern das Vertrauen in die echte Kreislaufwirtschaft untergraben.
Ein zentraler Ansatz, um diese Falle zu vermeiden ist, sich ambitionierte Ziele zu setzen, die Ihre Mitarbeitenden und Stakeholder als echt und messbar anerkennen. Fragen Sie sich: Weiß nur die Marketing-Abteilung von unseren „grünen“ Aussagen, oder ist das ganze Unternehmen in der Lage, diese zu bestätigen? Werden die tatsächlichen Hebel für Kreislaufwirtschaft erfasst und entsprechende Ressourcen bereitgestellt? Wenn alle Abteilungen diese Ziele gemeinsam tragen, entsteht eine glaubwürdige Kommunikation, die nach innen und außen als authentisch wahrgenommen wird und Greenwashing-Vorwürfe effektiv vermeidet.
BC: Digitalisierung ist mehr als nur ein Buzzword – wie können digitale Lösungen eingesetzt werden, um Kreislaufprozesse in Unternehmen zu unterstützen?
Schönberg: Digitalisierung ist die Basis, um Kreislaufprozesse effizient und nachhaltig zu gestalten. Viele Unternehmen, besonders etablierte Marktführer, haben die Potenziale der Digitalisierung lange nur am Rande genutzt. Spätestens für die Etablierung von Kreislaufwirtschaft im Unternehmen braucht es sie aber.
Bereits smarte Datenerfassung und -nutzung, gezielte Automatisierungen und einfache Algorithmen bieten große Chancen – noch bevor komplexe KI-Anwendungen ins Spiel kommen. Wer seine Datenströme klug nutzt, erkennt Wertschöpfungsverluste, setzt Ressourcen effizienter ein und vermeidet gezielt Abfälle. Kategorien wie Value Surplus, Value Destroyed, Value Missed und Value Absent machen sichtbar, wo Material, Energie und Zeit gewinnbringender eingesetzt werden können.
Echtzeitdaten und Predictive Analytics sind ein weiteres Schlüsselelement: Predictive Maintenance erkennt Verschleiß frühzeitig und senkt Kosten, während Lagerbestände und gebrauchte Ersatzteile optimal verwaltet werden können. In der Lieferkette sorgt etwa die Blockchain-Technologie oder der digitale Produktpass für Transparenz – bei der Materialherkunft, dem Transport und der Einhaltung von Menschenrechtsstandards.
So greift Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette: von der Materialgewinnung über Verarbeitung bis zur Wiederverwertung – ein entscheidender Hebel für kreislauffähige Unternehmensstrukturen.
BC: Österreich wird vielleicht schon bald einen neuen Bildungsminister oder -ministerin haben. Was wären Ihre Wünsche an die universitäre (und vielleicht schon schulische) Bildung, um den Kreislaufgedanken in Österreich besser zu verankern?
Schönberg: Um den Kreislaufgedanken in Österreich nachhaltig zu verankern, muss der Bildungsbereich bestehende Inhalte hinterfragen. Veraltete Paradigmen wie das lineare „take-make-waste“-Modell sind nicht mehr zeitgemäß. Wir benötigen ein Update hin zu einem systemischen Verständnis, das die Erde als endlichen Raum begreift, in dem wir als Teil der Natur auf ihre Ressourcen angewiesen sind und mit nicht-linearen Beziehungen und schwer abschätzbaren Folgen umgehen müssen.
Systemisches Denken, das Komplexität und die langfristigen Folgen von Handlungen begreifbar macht, sollte deshalb integraler Bestandteil des Lehrplans werden. Die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten ist aber nur in Kombination der Förderung von Motivation und Engagement wirkungsvoll, da sonst keine Handlungen folgen. Bildung muss daher nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch die Persönlichkeit und Verantwortung jeder/s Einzelnen fördern, damit die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft realisiert werden kann.
BC: Abschließend: Sie begleiten unsere Konferenzen zu Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit nun schon im 3. Jahr, warum ist es so wichtig, sich in diesem Bereich zu vernetzen und was ist für Sie das Besondere bei Business Circle?
Schönberg: Hier kommen Unternehmen zusammen, die entweder neugierig sind, Lust auf Veränderung haben oder diese bereits aktiv vorleben. Solche Foren sind unerlässlich – denn durch den Austausch entstehen neue Perspektiven und Ideen. Wenn diese Treffen so handverlesen sind wie bei Business Circle, profitiert man nicht nur vom Dialog, sondern auch von einem echten Wissenszuwachs.
Für mich als Fachbeirätin und Moderatorin ist es besonders wichtig, eine stringente inhaltliche Struktur zu bieten und kritische Fragen zu stellen. Ehrliches Lob und echte Learnings fördern nicht nur die Diskussion, sondern helfen, konkrete Ansätze für die Praxis zu entwickeln. Es ist dieser strukturierte Austausch, der am Ende dazu führt, dass alle mit frischen Ideen und konkreten Impulsen nach Hause gehen – und genau das macht Business Circle für mich so besonders.
BC: Liebe Frau Schönberg, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns, Sie zur Circular Economy 3.0 zu begrüßen!
Valerie-Sophie Schönberg, BA, MSc. hat Europawissenschaften und Sozioökonomie studiert, mit Forschung zu "Kreislaufwirtschaftskompetenzen für Unternehmer:innen". Sie ist Gründerin von Schönberg Consulting und ehrenamtliches Vorstandsmitglied beim Circular Economy Forum Austria. Ihre Erfahrung in Strategieentwicklung und Multi-Stakeholder-Management sowie ihre Begeisterung für systemisches Denken nutzt sie, um gemeinsam nachhaltig wirksame Lösungen zu konzipieren und zu bewerkstelligen. Sie ist Mitglied im Fachbeirat und Moderatorin des Circular Economy Exchange am 3. Dezember 2024 in Wien.