Business Circle: Sehr geehrter Herr Dr. Huemer, Sie leiten das Kompetenzcenter Business Analytics & Operational Excellence bei BDO. Wie sind sie dahin gekommen? Wann haben Sie entscheiden, sich dem Prozessmanagement zu widmen?
Michael Huemer: Als ich vor etwa zehn Jahren in der Unternehmensberatung begonnen hatte standen wir vor der Aufgabe, für einen Kunden eine IST-Prozessanalyse und auf dieser Basis eine Optimierung durchzuführen. Ich hatte gerade mein Studium der Wirtschaftsinformatik abgeschlossen und war es gewohnt, mit IT-Lösungen zu arbeiten. Dementsprechend habe ich mich auch hier nach einer Lösung umgesehen, die uns dabei hilft, das bestmögliche Ergebnis für den Kunden zu erzielen und bin auf Process Mining gestoßen. Process Mining rekonstruiert den Process aus den Daten von IT-Systemen und visualisiert ihn so, wie er tatsächlich stattgefunden hat und das für alle Prozessdurchläufe in einem bestimmten Zeitraum. Das Ergebnis war sowohl qualitativ als auch hinsichtlich der Kosten sehr überzeugend, sodass ich dieses Thema mit viel Spaß und einem tollen Team verbreitert und konsequent weiterverfolgt habe. Heute sind wir in der Lage, unsere Kund:innen über den gesamten Prozessmanagement-Lebenszyklus hinweg zu unterstützen – mit innovativen Lösungen und Konzepten am Puls der Zeit. Wir sorgen dafür, dass die Prozesse der Kund:innen im Hinblick auf Effektivität und Effizienz kontinuierlich optimiert werden. Insbesondere das Thema Operational Excellence hat in letzter Zeit durch den Fachkräftemangel eine ganz neue Bedeutung bekommen: Unternehmen, die ihre Prozesse nicht kontinuierlich effizienter und effektiver gestalten, werden kein Wachstum mehr realisieren können. Die Kosten für Fachkräfte sind empfindlich gestiegen oder die Fachkräfte sind einfach nicht verfügbar. Deshalb ist die Effizienz und Effektivität der Prozesse eine Notwendigkeit um weiter am Markt bestehen zu können. Hier setzen wir mit Process Mining an und schaffen Transparenz für die Potenziale und realisieren diese gemeinsam mit unseren Kunden.
BC: Bei Change-Prozessen kommt es maßgeblich darauf an, das jeweilige Team mit ins Boot zu holen. Gibt es durch „mehr Nachhaltigkeit“ einen erkennbaren Motivationsschub?
Huemer: Nachhaltigkeit, also der sorgsame Umgang mit Ressourcen in Bezug auf Umwelt, Soziales und Governance, sollte in jedem Unternehmen eine strategische Verankerung finden und muss natürlich in die Gestaltung der Prozesse einfließen, wenn dies nicht ohnehin schon der Fall ist. Und dafür gilt es, alle Menschen im Unternehmen mit ins Boot zu holen. Nimmt man die Nachhaltigkeit als Unternehmen wirklich ernst und setzt insbesondere im Bereich Soziales konsequent Maßnahmen wirkt sich das selbstverständlich auch auf die Motivation der Mitarbeiter:innen aus. Nachhaltiges Wirtschaften ist nicht mehr länger eine Frage des Wollens – einerseits fordert es die Regulatorik und andererseits der Markt. Wer hier nicht entsprechend handelt, wird auf der Strecke bleiben: keine bis erschwerte Finanzierung für Investitionen bekommen, keine Mitarbeiter:innen mehr finden, Kund:innen verlieren, Imageschäden erleiden etc.
BC: Helfen Regulatorik und Taxonomie wirklich zu effizienterem und nachhaltigerem Wirtschaften oder droht eher die Gefahr einer Überbürokratisierung?
Huemer: Die Regulatorik bietet eine Chance für alle Unternehmen, das eigene Handeln und Tun zu hinterfragen und ggf. neu auszurichten. Ob man diese Chance auch tatsächlich nutzt, obliegt jede:r Unternehmer:in selbst. Die Regulatorik gibt nur das Minimum vor, das jeder im Hinblick Nachhaltigkeit erfüllen muss und trägt dadurch zu Vergleichbarkeit und Transparenz bei. Die meisten Unternehmen, mit denen wir arbeiten, gehen zumindest ein bis zwei Schritte weiter und wandeln ihren Betrieb konsequent in ein nachhaltig agierendes Unternehmen um – sodass die Nachhaltigkeit eindeutig nicht nur Kosten mit sich bringt, sondern vor allem Wettbewerbsvorteile in vielerlei Hinsicht. Es werden Prozesse neu gestaltet und an den neuen Bedürfnissen ausgerichtet. Die Nachhaltigkeit wird als Chance wahrgenommen um ohnehin schon längst überfällige Anpassungen vorzunehmen.
Mit der Nachhaltigkeitsthematik kommt eine neue Dimension ins Spiel
BC: Prozessoptimierung soll ja immer Ressourcen schonen, weil man letztlich damit Kosten spart. Welche neuen Aspekte gibt es hier jetzt durch die ESG-zentrierte Betrachtung?
Huemer: Bisher waren bei der Gestaltung von Prozessen ganz klar zwei KPIs im Vordergrund: Kosten und Zeit. Wieviel Kosten verursacht ein Prozessschritt bzw. der Prozess insgesamt? Wie lange ist die Durchlaufzeit? Nun kommt durch die Nachhaltigkeitsthematik eine für viele Unternehmen ganz neue Dimension ins Spiel: Nämlich wie die Prozesse im Hinblick auf Nachhaltigkeit zu beurteilen sind. Beispielsweise wieviel CO2-Ausstoß verursacht der Prozessschritt? Wie wirkt sich ein Prozessschritt auf die Gesundheit meiner Mitarbeiter:innen aus oder welches Risiko in Bezug auf Ethik oder Korruption birgt der Prozess?
Jeder einzelne Prozess im Unternehmen ist von dieser Thematik betroffen und deswegen ist es auch für das Prozessmanagement eine große Chance, einen gebührenden Beitrag zu leisten.
BC: Zeit- und Kostenersparnis kann man messen. Welche sind die für Sie am schwersten zu quantifizieren Erfolgselemente?
Huemer: Wir sind es aus der Historie heraus gewohnt, sehr gut darin zu sein, in Kosten und Zeit zu denken. Wieviel kostet es? Wie lange dauert es? Der Spruch „Zeit ist Geld“ kommt nicht von ungefähr. Nun muss ich mir zusätzlich neben Kosten und Zeit die Frage stellen: Wie nachhaltig ist mein Tun?
Um etwas messen zu können sind Daten und vor allem qualitativ hochwertige Daten notwendig. Jede:r Unternehmer:in hat grundsätzlich eine Buchhaltung und ein Controlling, somit Übersicht über die Kosten. Man ist es auch gewohnt, Zeiten zu erfassen und sieht den Nutzen für bestimmte Prozessschritte. Daten, die für die Nachhaltigkeitsberichtserstattung oder ein ESG-Rating notwendig sind, sind für viele Unternehmen noch eine neue Größe. Man ist es oft noch nicht gewohnt, diese Daten systematisch innerhalb der bereits bestehenden Prozesse zu erfassen. Die Verfügbarkeit der Daten sowie die Datenqualität ist in diesem Kontext eine der größten Herausforderung für unsere Kund:innen.
BC: Was würden Sie einem jungen Menschen empfehlen, der sich für eine Karriere an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und Prozessmanagement interessiert? Ist die Universitäre Ausbildung in Österreich hier ausreichend?
Huemer: Grundsätzlich ist das eine sehr gute Wahl. Ich würde aber empfehlen, den digitalen Aspekt nicht außer Acht zu lassen. Die österreichischen Universitäten bieten viele sehr gute Bildungsmöglichkeiten. Die Absolvent:innen sind mit einem soliden Maß an Methoden-, Werkzeug- und Konzept-Know-how ausgestattet. Damit sind sie meines Erachtens langfristig sehr gut auf die volatile, sich ständig ändernde Arbeitswelt vorbereitet.
BC: Abschließend: Sie haben ja schon am Prozessmanagement Forum teilgenommen. Möchten Sie Ihren Eindruck von der Veranstaltung mit uns teilen?
Huemer: Ich bin jedes Jahr wieder gerne dabei. Man trifft altbekannte und viele neue Gesichter für einen Austausch auf Augenhöhe. Jedes Jahr gibt es neue Impulse und Themen, die sich an den aktuellen Herausforderungen orientieren. Für mich eine sehr gelungene und empfehlenswerte Veranstaltung!
BC: Lieber Herr Dr. Huemer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns, Sie und das Team von BDO zum Process meets Automation Forum zu begrüßen!
Dr. Michael Huemer leitet das Kompetenzcenter Business Analytics & Operational Excellence bei BDO. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Unterstützung von Unternehmen damit sie digitale, datengetriebene Organisationen werden. Hier forciert er besonders Themen wie Data Governance, Process Mining & Management und Business Intelligence & Advanced Analytics. Als Experte stellt er seit vielen Jahren sicher, dass mit den entwickelten digitalen Lösungen Business Value in der Organisation realisiert wird. Beim Prozessmanagement-Forum am 25. / 26. Mai 2023 spricht er über „Wie Sustainability helfen kann, Prozesse im Unternehmen zu verankern“