Business Circle: Wie sieht das aktuelle Rahmenbauprogramm des Wiener Gesundheitsverbundes aus und welche anstehenden Großprojekte sind geplant? Welche Prioritäten setzt der Gesundheitsverbund bei der Modernisierung und dem Ausbau der Spitäler?
Mit dem Rahmenbauprogramm investiert die Stadt Wien (der Wiener Gesundheitsverbund) bis 2030 rund 3,3 Milliarden Euro in die Erneuerung und den Ausbau der Wiener Gesundheitsinfrastruktur. Größere Baumaßnahmen sind an allen Standorten des Gesundheitsverbundes (mit Ausnahme der Klinik Floridsdorf) geplant, wobei sich die Bautätigkeit aktuell auf die Klinik Favoriten (zentrale Notaufnahme, Psychiatrie, Ausweichbauwerk, Wirtschaftshof etc.) und das AKH (drei neue Forschungszentren, insbesondere das Zentrum für Translationale Medizin und Therapien) konzentriert. In naher Zukunft werden die Großprojekte in Hietzing und Ottakring (jeweils große zentrale Neubauten, die Architekturwettbewerbe wurden bereits durchgeführt).
BC: Welche Vorteile bietet die frühzeitige Einbindung der Unternehmer durch das Early Contractor Involvement (ECI) Modell? Wie beeinflusst diese frühe Zusammenarbeit die Planung und Umsetzung von Großprojekten im Spitalsbau?
Der klare Vorteil eines ECI liegt in der (frühzeitigen) Berücksichtigung von seitens der Bieter/Bauunternehmen eingebrachten Optimierungspotentialen schon in der Planungs- bzw. Ausschreibungsphase. Ziel unseres gemeinsam mit dem WIGEV und weiteren Konsulenten entwickelten Modells ist es, am Ende des Vergabeverfahrens zur Auswahl der Ausführenden (Hauptgewerke, idR GU) schon über eine planungs- und ausführungsseitig detailliert abgestimmte Ausführungsplanung als Vertragsgrundlage sowie über eine stabile Preisobergrenze zu verfügen.
Auftraggeber, Planer und Ausführende sollen das das Projekt im Vorentwurfs- bzw. Entwurfsstadium in einer gemeinsamen Partnering-Phase (idR im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens) optimieren. Das Know-how der Ausführenden wird damit zu einem Zeitpunkt in das Projekt miteinbezogen, an dem zum einen Änderungen noch einfacher berücksichtigt werden können und zum anderen die Möglichkeit für Kostenoptimierungen noch sehr hoch ist. Das Zusammen- bzw. Wechselspiel zwischen Auftraggeber, Planer und Ausführenden wird hier also in eine Phase vorverlegt, in der Ergebnisse dieses Wechselspiels auch noch ohne negative Folgen auf das Projekt (in terminlicher und budgetärer Hinsicht) berücksichtigt werden können. Zudem sind die Angebote der Bieter mit dieser hohen "Planungsschärfe" dann auch deutlich besser vergleichbar und stabiler. Spätere Planungsschleifen während der Ausführung, die regelmäßig zu Mehrkosten und Verzögerungen führen, werden so vermieden.
Damit wird sichergestellt, dass der Plan vom konkreten Auftragnehmer auch effizient und kostengünstig umgesetzt werden kann und spätere zeitaufwändige Planungsschleifen bzw. Planänderungen vermieden werden. Erhöhte Planungssicherheit und erhöhte Kalkulationssicherheit führen zu erhöhter und frühzeitiger Kosten- und Terminstabilität.
BC: Wie gestaltet sich das Wechselspiel zwischen Generalplaner, Auftraggeber (AG) und Bietern im Rahmen des Early Contractor Modells? Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich aus dieser Zusammenarbeit?
Wichtig sind ein ehrlicher, offener und partnerschaftlicher Umgang aller Beteiligten miteinander und dies schon im Vergabeverfahren. Es muss für alle der jeweilige Vorteil klar erkennbar sein. Der AG muss die Mitarbeit durch die Bieter/Ausführenden mit einer entsprechenden ausgewogenen Risiko- und Vergütungsgestaltung belohnen bzw. diese entsprechend motivieren. Der Generalplaner (mit seinem Fachplanerteam) wiederum muss den Input seitens der Bieter rasch einarbeiten und die Planung entsprechend integriert weiterentwickeln. Generell besteht die Herausforderung darin, alle Parteien dazu zu bringen, an einem Strang zu ziehen und den Erfolg (aber auch allfällige Risiken) des Projekts ausgewogen zwischen den Parteien zu verteilen.
BC: Inwiefern trägt das Early Contractor Modell zu einer erhöhten Planungssicherheit bei? Welche konkreten Maßnahmen werden ergriffen, um Risiken frühzeitig zu identifizieren und zu minimieren?
Durch die "Aufhebung" der strikten Trennung von Planung und Ausführung findet durch ECI eine frühzeitige gegenseitige Kontrolle, aber natürlich auch Inspiration zwischen Planer und Ausführenden statt. Allfällige spätere Optimierungsvorschläge der Ausführenden werden so bereits vor Beendigung der Ausführungsplanung eingebracht und bei der Planung frühzeitig berücksichtigt. Das führt zu einer höheren Stabilität der Planung und dadurch zu einer erhöhten Planungssicherheit. Zur Identifikation und Minimierung der Risken dienen im Zuge des Vergabeverfahrens Abstimmungsrunden bzw. Feedbackschleifen zwischen Bietern/Ausführenden und der Generalplanung.
BC: Welche Rolle spielt das Early Contractor Modell in Bezug auf die Kalkulationssicherheit? Wie werden Kostenkalkulationen in einem so frühen Stadium der Projektentwicklung erstellt und überwacht?
Am Ende des Vergabeverfahrens sollte auf Basis einer abgestimmten Planung ein von allen Verfahrensbeteiligten geprüfter und bestätigter Preis vorliegen. Vor Abschluss des Vertrages mit dem Ausführenden sollten also Kosten-, Termin- und Qualitätsziele des Auftraggebers (auch zwischen Generalplaner und Ausführenden) klar abgestimmt und definiert sein. Die erhöhte Kalkulationssicherheit führt zu einer erhöhten Kosten- und Terminstabilität, die fortlaufend anhand von vereinbarten Projekt-Meilensteinen überwacht wird. Wichtig neben einem fairen finanziellen Anreizsystem ist auch eine kooperative Projektabwicklung mit regelmäßigen Partnerschaftssitzungen mit schnellen Entscheidungen bei Abweichungen und einem klar zwischen den Partnern klar definierten Eskalationsprozess.
BC: Wie wirkt sich die frühzeitige Einbindung der Unternehmer auf den Gesamtzeitplan des Projekts und die Qualität der Bauausführung aus? Welche Maßnahmen werden ergriffen, um Zeit- und Qualitätsziele zu erreichen?
Die frühzeitige Einbindung der Ausführenden in die Planung führt zu einer erhöhten Termin- und dadurch Kostenstabilität. Verstärkt werden sollte dies auch durch eine entsprechende Festlegung von terminlichen und ggf. auch qualitativen Meilensteinen, deren Erreichen mit der Auszahlung vorab definierter Termin- und/oder Qualitätsboni belohnt werden kann. Ergänzend empfiehlt sich, vorab einen Schlüssel zu definieren, anhand dessen allfällige Ersparnisse/Unterschreitungen des Kostendeckels zwischen den Vertragsparteien aufgeteilt werden. Die etwas längere Dauer im Vergabeverfahren wird in aller Regel leicht wieder durch den effizienten und stabilen Bauablauf "hereingespielt" und zeit- und kostenaufwändige spätere Planänderungen werden vermieden.
Autoren:
Mag. Manfred Essletzbichler, Partner bei Wolf Theiss sowie Leiter des Bereichs Vergaberecht, gilt seit Jahren als einer der führenden Juristen in diesem Rechtsbereich. Er berät seit über 20 Jahren regelmäßig sowohl die Auftragnehmer-, als auch die Auftraggeberseite in allen vergaberechtlichen Fragen, insbesondere bei der Beteiligung an Ausschreibungen bzw der Planung, Strukturierung und Durchführung von Ausschreibungen für Bau-, Dienstleistungs- und komplexe Lieferaufträge in den Bereichen Infrastruktur, Verkehr, Energie, IP/IT und Gesundheit/Life Sciences.
Mag. Wolfgang Lauchner, LL.M., Partner im Vergaberechtsteam von Wolf Theiss, ist spezialisiert auf Auftragsvergaben im Bereich IT sowie Infrastrukturprojekte. Er verfügt über umfassende praktische Erfahrung sowohl bei der Abwicklung von Vergabeverfahren als auch bei der Beratung im Zusammenhang mit Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekontrollbehörden. Seit 2010 bei Wolf Theiss und seit 2016 eingetragener Rechtsanwalt.
Mag. Josef Newertal, BSc, MSc, Leiter des Vorstandsressorts Infrastrukturmanagement bei dem Wiener Gesundheitsverbund, ist verantwortlich für die Abwicklung, Erstellung und Steuerung des unternehmensweiten Investitionsprogramms sowie das zentrale Facility Management.