Business Circle: Welche rechtlichen Unterschiede bestehen zwischen Wissens- und Willenserklärungen im Kontext des Vergaberechts?
Willens- und Wissenserklärung sind keine Begriffe aus dem Vergaberecht, sondern aus dem Zivilrecht, sind damit aber für die öffentliche Vergabe zivilrechtlicher Verträge natürlich dennoch relevant und können dabei helfen, vergaberechtliche Abläufe besser zu verstehen und einzuordnen.
Willenserklärungen sind auf eine Änderung der Rechtslage gerichtet – ihr Zugang schafft daher neue (rechtliche) Fakten. Wissenserklärungen teilen dagegen nur Informationen – die davon betroffenen Fakten bestehen unabhängig von der Erklärung.
Bei der Mängelbehebung ist zu bedenken, dass ein Angebot im zivilrechtlichen Sinn zwar eine Willenserklärung darstellt, im Vergaberecht aber durch zahlreiche Wissenserklärungen ergänzt wird – insbesondere durch die Nachweise für die Eignung.
BC: Unter welchen Umständen ist es rechtlich zulässig, Mängel nachträglich zu beheben?
Die Judikatur scheint hier nicht immer stringent und schwankt zwischen sehr großzügigen Möglichkeiten der Mängelbehebung und sehr restriktiven Argumenten.
Im Wesentlichen läuft es darauf hinaus, dass eine nachträgliche wesentliche Änderung von Angeboten oder eine materielle Änderung der Wettbewerbsstellung nicht zulässig sein sollen, wobei die Wörter „wesentlich“ und „materiell“ hier eine gewisse Unschärfe bringen.
Dogmatisch erscheint es aber naheliegend, dass die nachträgliche Abgabe von Willenserklärungen unzulässig ist, da diese das Angebot (und damit die Wettbewerbsstellung) nachträglich verändern, während die Abgabe von Wissenserklärungen grundsätzlich zulässig wäre. Sofern die erforderlichen Fakten (z.B. Eignung am Stichtag) bestanden haben, ändert die nachträgliche Abgabe einer Wissenserklärung (d.h. des Nachweises) weder das Angebot (im zivilrechtlichen Sinn) noch die (materielle) Wettbewerbsstellung.
BC: Was bedeutet das Gleichbehandlungsprinzip in der Praxis?
In der Praxis wird immer wieder das Gleichbehandlungsprinzip als Argument gegen die Mängelbehebung bei der Vorlage von Nachweisen herangezogen, weil ein Bieter mehr Zeit erhält als diejenigen, die bereits innerhalb der ursprünglichen Frist mangelfrei alle geforderten Unterlagen vorgelegt haben.
Formal betrachtet ändert sich auch die Wettbewerbsstellung, da aus einem ausschreibungswidrigen (und damit chancenlosen) Angebot ein gültiges wird.
Diese Argumente sind jedoch nicht überzeugend, da sie – konsequent angewendet – jegliche Mängelbehebung unmöglich machen würden. Das würde aber den gesetzlichen Vorgaben widersprechen, die eine Mängelbehebung ausdrücklich vorsehen.
BC: Wie können Auftraggeber durch detaillierte Vorgaben in den Ausschreibungsunterlagen rechtliche Unsicherheiten bei der Mängelbehebung minimieren?
Würden der Umfang und Zeithorizont der Mängelbehebung vom Auftraggeber bereits in den Ausschreibungsunterlagen als Recht aller Bieter festgelegt werden, dann wäre die Gleichbehandlung sichergestellt – unabhängig davon, wie viele Bieter diese Möglichkeit im Endeffekt wirklich benötigen.
Eine solche Festlegung sollte auch nach den Maßstäben der strengeren Judikate zulässig sein, da diese nicht die Mängelbehebung grundsätzlich in Frage stellt, sondern lediglich eine Ungleichbehandlung vermeiden will. Die Abgabe neuer Wissenserklärungen sollte aber – bei entsprechender Festlegung – immer zulässig sein. Ob sie auch faktisch möglich ist, steht auf einem anderen Blatt…
Interviewpartner
Mag. Markus Theiner hat Rechtswissenschaften an der Universität Wien studiert und ist seit 2007 bei der Bundesbeschaffung GmbH tätig - inzwischen als juristischer Fachexperte mit Tätigkeitsschwerpunkt Projektunterstützung.