• ESG-Risikomanagement als Herausforderung für Unternehmen und Banken: Martin Prohaska-Marchried im Gespräch

Martin Prohaska-Marchried ist Partner bei Taylor Wessing. Im Vorfeld der „Compliance now!“ sprechen wir darüber, wie ESG-Risiken umfassend und nachhaltig zu managen sind und was eine transparente Nachhaltigkeitskommunikation ausmacht.

Business Circle: Sehr geehrter Herr Dr. Prohaska-Marchried, Sie gelten als einer der führenden Anwälte Österreichs im Bereich Intellectual Property, was hat Sie bewogen, sich gerade in dieser Richtung zu spezialisieren?
Martin Prohaska-Marchried: Das Thema „landete“ bei uns - sprichwörtlich - mit der Vertretung einer nicht ganz kleinen österreichischen Fluglinie in einem UWG-Verfahren gegen den VKI zur Werbung mit Nachhaltigkeitsaussagen. Spezialthema in diesem Verfahren war der Einsatz alternativer Flugkraftstoffe (sog SAF = Sustainable Aviation Fuels). Darauf folgte ein Projekt mit der Österreich Werbung, konkret die rechtliche Begleitung bei der Verfassung eines Leitfadens für die Werbung im Umweltaussagen im Tourismus. Ein ganz aktuelles Projekt ist die rechtliche Begleitung eines Projekts im Bereich der Ferienimmobilien in Europa (Parahotellerie) bei der Entwicklung einer neuen grünen Marke, die einen Maßstab für nachhaltige Unterkünfte in der Branche setzen soll. .

BC: „Tue Gutes und rede darüber“: Wie lässt sich im Zusammenspiel zwischen Marketing und Compliance die Balance zwischen kreativer Werbung und rechtlicher Sicherheit wahren?
Prohaska-Marchried: Die neuen Vorgaben der EU für die Umweltaussagen erhöhen die Anforderungen an die Kommunikation von Umweltvorteilen. Dies stellt auch die kreativen Köpfe in Marketingabteilungen vor neue Herausforderungen. Bereits in der Entwicklungsphase einer neuen Werbekampagne sollten sich die beteiligten Teams der feinen Unterschiede zwischen konkreter, wahrheitsgetreuer und transparenter Nachhaltigkeitskommunikation und Greenwashing bewusst sein. Wichtig ist, dass die Aussagen belegt und überprüfbar sind und auf tatsächlich umgesetzten Maßnahmen beruhen. Wenn das Unternehmen seine Nachhaltigkeitsbemühungen konkret nachweisen kann, z.B. durch Zertifizierungen, wird die Glaubwürdigkeit der Kommunikationskampagne zusätzlich erhöht. Auf dieser Weise lässt sich die Balance zwischen Kreativität und Rechtssicherheit wahren.

BC: Wer entscheidet im Zweifelsfall eigentlich, ob „Greenwashing“ vorliegt?
Prohaska-Marchried: Aus rechtlicher Sicht wird die Entscheidung darüber, ob Greenwashing vorliegt natürlich von den Gerichten oder den involvierten Behörden getroffen. In der Praxis ist die eigentliche „oberste Instanz“ jedoch ganz einfach der Verbraucher. Zwar können nur die Gerichte verbindlich entscheiden, ob eine „grüne“ Werbeaussage irreführend ist oder nicht. Für ein Unternehmen, seine Reputation und Umsätze kommt es schließlich auf den Verbraucher und die öffentliche Meinung. Verbraucher werden immer sensibler für grüne Versprechen und machen ihre Kaufentscheidung häufig davon abhängig, ob das Unternehmen Nachhaltigkeit auch tatsächlich lebt - zum Beispiel, ob recycelte Materialien verwendet werden, ob sich das Unternehmen bemüht, den Produktionsprozess oder die Erbringung der Dienstleistung möglichst CO2-arm zu gestalten, ob das Unternehmen soziale Aspekte berücksichtigt. Werden diese Verbrauchererwartungen enttäuscht, kann das Vertrauen der Verbraucher in das Unternehmen irreversibel beschädigt werden.

BC: Inwiefern können Klagen (aktivistischer) Shareholder zum Risiko für österreichische Unternehmen werden?
Prohaska-Marchried: Der öffentliche Diskurs über Nachhaltigkeit, Greenwashing und soziale Verantwortung betrifft längst nicht mehr nur Verbraucher - auch Investoren setzen zunehmend auf Sustainable Finance und nachhaltige Geschäftsfelder. Spannungen zwischen den Vorstellungen aktivistischer Aktionäre und der Unternehmensführung bergen jedoch erhebliche Risiken. Investoren können verschiedene Instrumente nutzen, etwa die ihnen zustehenden Aktionärsrechte ausüben oder informelle Einflussmöglichkeiten nutzen, wie etwa öffentliche Briefe inserieren oder Sonderwissen mit interessierten Journalisten teilen, um Kritik und gegebenenfalls auch öffentlichen Druck auszuüben. Klagen aktivistischer Aktionäre können - auch wenn der „Angriff“ scheitert - negative Publicity nach sich ziehen. Die öffentliche Wahrnehmung möglicher Rechtsstreitigkeiten kann zu finanziellen Einbußen führen, wenn dadurch neue Investoren abgeschreckt werden oder bestehende Investoren ihre Beteiligung abstoßen. Aktivistische Investoren können auch verlangen, dass die Auszahlung von Boni an die Einhaltung bzw. Erreichung von Nachhaltigkeitszielen geknüpft wird. Nicht auszuschließen ist auch, dass Unternehmen durch negative Publicity, z.B. durch Greenwashing-Vorwürfe, verstärkt ins Visier der Behörden geraten. Das beste Instrument ist daher die Prävention durch konsequente Einhaltung und Überwachung der Nachhaltigkeitsstrategie bzw. entsprechende Berücksichtigung bei der Verwaltung des Portfolios. Nicht zuletzt rückt auch eine transparente nichtfinanzielle Berichterstattung, ggf. unter Einbeziehung entsprechender Berater, in den Vordergrund.

ESG-Risiken umfassend managen

BC: Wie beeinflusst ESG das Risikomanagement in Unternehmen und wie sind die Banken hier in der Zusammenarbeit gefordert?
Prohaska-Marchried: Längst geht es bei Risikomanagementstrategien in Unternehmen nicht mehr nur um die Absicherung von finanziellen Risiken oder beispielsweise Cybersicherheitsrisiken. ESG-Faktoren rücken immer stärker in den Fokus, und die ganzheitliche Bewertung von und Reaktion auf Nachhaltigkeitsrisiken wird unerlässlich. Unternehmen, die ESG-Kriterien proaktiv in ihr Risikomanagement integrieren, können potenzielle negative Auswirkungen und finanzielle Verluste effektiv vermeiden. Ebenso wichtig ist die transparente Darstellung von ESG-Risiken in der nichtfinanziellen Berichterstattung, die auch für die Partner als wertvolle Entscheidungsgrundlage dient. Auch Banken berücksichtigen ESG-Indikatoren zunehmend bei der Kreditvergabe und bieten Finanzprodukte an, die an ESG-Kriterien gekoppelt sind. Unternehmen, die ESG-Risiken umfassend managen, profitieren daher von einem verbesserten Zugang zu Finanzierungen.

BC: Inwiefern können irreführende oder falsche „Green Claims“ den Wert von Investitionen in ein Unternehmen beeinträchtigen und welche Rechtsansprüche könnten hieraus für Investoren erwachsen?
Prohaska-Marchried: Irreführende oder falsche grüne Versprechen können zu erheblichen Reputationsschäden für Unternehmen führen und das Vertrauen von Investoren untergraben. Wenn Produkte oder Dienstleistungen aufgrund von Greenwashing negativ wahrgenommen werden, schwächt dies die Marktposition des Unternehmens und schreckt potenzielle Investoren ab. Darüber hinaus können Greenwashing-Vorwürfe zu einer Verschlechterung der Marktbewertung und damit zu finanziellen Verlusten durch sinkende Aktienkurse führen. Werden Anleger durch Greenwashing oder sogenanntes Impact Washing - also die Darstellung von ökologischen oder sozialen Auswirkungen einer Investition, die tatsächlich jedoch nicht zutrifft - getäuscht und erleiden finanzielle Verluste, können sie im schlimmsten Fall rechtliche Schritte gegen das Unternehmen anstreben.

BC: Abschließend: Was soll das Publikum aus der von Ihnen moderierten Diskussion mitnehmen? Wofür möchten Sie mehr Bewusstsein und Aufmerksamkeit erzeugen?
Prohaska-Marchried: Die zentrale Botschaft ist klar: Unternehmen sollten in enger Zusammenarbeit zwischen Marketing- und Compliance-Abteilungen Strategien entwickeln, um ihre Werbekampagnen rechtssicher zu gestalten und nur mit belegbaren „grünen“ Aussagen zu werben. Transparente Nachhaltigkeitskommunikation stärkt das Vertrauen der Kunden und schützt vor langfristigen Schäden, die durch Greenwashing entstehen können. Mangelnde Glaubwürdigkeit kann nicht nur die Beziehung zu Verbrauchern nachhaltig schädigen, sondern auch Investoren in die Irre führen und im schlimmsten Fall deren Investitionsbereitschaft mindern. Unternehmen sollen daher die Bewertung von ESG-Risiken konsequent in ihre Risikomanagementstrategien integrieren, um sich den Zugang zu Finanzierungen zu erleichtern und langfristig auf Erfolgskurs zu bleiben.

BC: Sehr geehrter Herr Dr. Prohaska-Marchried, wir danken Ihnen für diese profunden Einblicke und freuen uns, Sie zur „Compliance now! “ zu begrüßen!

blog prohaska 2411 200

Dr. Martin Prohaska-Marchried ist Partner und Head of IP bei Taylor Wessing in CEE. Er befasst sich mit rechtlichen Folgen von Marketing und Werbung, insbesondere zu „Green Claims“. Er ist bekannt als einer der führenden IP-Anwälte Österreichs. Seine Schwerpunkte liegen in der Durchsetzung von Markenrechten und urheberrechtlichen Ansprüchen sowie im Lauterkeitsrecht und in der Beratung zum Know-how Schutz. Im Rahmen der „Compliance now!“ moderiert er am 21. November 2024 eine Diskussion zum Thema „ESG as an Emerging Risk - Bank & Corporate im Austausch“.

Weiterführende Links:
Leitfaden für die Werbung im Umweltaussagen im Tourismus, 

Zu unserem Bereich „Compliance“

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