• Update Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht: Interview mit Julia Nicolussi, Uni Zürich

Prof. Dr. Julia Nicolussi forscht und lehrt an der Universität Zürich. Wir sprechen über die rechtlichen Herausforderungen der Löschung von Kapitalgesellschaften sowie Haftungsfragen für Vorstandsmitglieder und Abschlussprüfer und natürlich über die Unterscheide zwischen Österreich und der Schweiz

Business Circle: Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Nicolussi, eingangs etwas Persönliches: Sie sind jetzt seit etwas mehr als einem Jahr Hochschullehrerin an der Universität Zürich. Gab es einen „culture shock“ nach dem Übersiedeln? Und inwiefern kann man die DACH-Region überhaupt als einheitlichen Wirtschaftsraum begreifen, wo die Schweiz weder die EU und schon gar nicht den EURO hat?
Julia Nicolussi: Ich wurde an der Universität Zürich äußerst freundlich und offen aufgenommen von meinen Kolleginnen und Kollegen. Die Universität Zürich ist eine besondere Wirkstätte und neben der Universität Wien die größte juristische Fakultät im deutschsprachigen Raum. Die Bedingungen für Lehre und Forschung sind außerordentlich gut. Die Stadt Zürich lebt durch Tradition und Moderne und ist darüber hinaus sehr international. „Schock“ gab es keinen, kulturelle Unterschiede bestehen natürlich, ich sehe diese aber als Bereicherung.
Die DACH-Region zählt zu den wichtigsten Regionen weltweit. Die Schweiz hat dabei als Staat inmitten Europas eine besondere Stellung, sie ist weder Mitglied der EU noch Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums. Die Beziehungen zur EU werden in multilateralen Abkommen geregelt. Momentan existieren mehr als 100 Abkommen. Das bringt viel Bürokratie mit sich, bietet aber auch eine Reihe von Vorteilen.

BC: Welche rechtlichen Herausforderungen ergeben sich aus der Löschung einer GmbH oder AG im Hinblick auf bestehende Verbindlichkeiten und Ansprüche und wie wird in der Praxis mit „vergessenen“ Vermögenswerten einer gelöschten GmbH oder AG umgegangen?
Nicolussi: Grundsätzlich kann eine Kapitalgesellschaft nicht aus dem Firmenbuch gelöscht werden, ohne dass eine Liquidation stattgefunden hat. Für Umgründungsmaßnahmen gilt anderes. Im Zuge des Liquidationsverfahrens wird ein Gläubigeraufruf veröffentlicht, sodass sich Gläubiger bei der Gesellschaft bzw beim Liquidator melden können. Bekannte Gläubiger sind direkt zu benachrichtigen. Die Sicherstellung der Forderung setzt somit ein aktives Tätigwerden der Gläubiger voraus. Wird ein Gläubiger vergessen, so stehen ihm nach der Löschung der Kapitalgesellschaft Schadenersatzansprüche gegen die handelnden Personen zu. Eine Nachtragsliquidation scheidet in der Regel aus.

BC: Sicher ist, dass Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder haften müssen, aber wie sieht das mit der Haftung von Abschlussprüfern aus? Insbesondere, wenn diesen Fehler nachweisbar sind?
Nicolussi: Gläubiger und Vertragspartner der Gesellschaft können gegen den Abschlussprüfer vorgehen, wenn er seine Prüfung und sein Testat nicht sorgfältig gemacht hat und sie auf die Richtigkeit vertraut haben. Die maximale Inanspruchnahme ist der Höhe nach gesetzlich beschränkt.

BC: Gibt es da in der Schweiz besondere Unterschiede zum österreichischen Rechtssystem?
Nicolussi: In der Schweiz wird die Abschlussprüfung durch die Revisionsstelle besorgt. Dies ist ein Organ der Gesellschaft und somit greifen schon allein aus dieser dogmatisch unterschiedlichen Einordnung andere Haftungsgrundsätze gegenüber der Gesellschaft und gegenüber Dritten.

In der guten Vorbereitung liegt ein entscheidender Schlüssel

BC: Was wären denn typischerweise „wichtige Gründe“, welche die Entlassung von Vorstandsmitgliedern einer AG rechtfertigen würden und was kann die Rechtsabteilung dazu beitragen, den Vorstand zu schützen?
Nicolussi: Der Vorstand ist als weisungsunabhängiges Organ konzipiert. Abgesichert wird diese Weisungsunabhängigkeit auch dadurch, dass die Aktionäre oder der Aufsichtsrat einen Vorstand nicht schlicht nach Belieben auswechseln können, sondern dass seine Funktionsperiode vorzeitig nur aus wichtigem Grund enden kann. Typische wichtige Gründe nennt das Gesetz, das sind die grobe Pflichtwidrigkeit, die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung und der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung. Die Rechtsabteilung, die im Unternehmen unter dem Vorstand installiert ist, ist diesem idR weisungsunterworfen, sie steht dem Vorstand aber als erste Anlaufstelle in rechtlichen Fragen zur Verfügung. Sie hat dabei insbesondere die Rolle, die Rechtmäßigkeit von Leitungsentscheidungen zu prüfen und insbesondere auch die vorbereitenden Schritte zu setzen und auch entsprechend zu dokumentieren. In der guten Vorbereitung liegt ein entscheidender Schlüssel für die Unterstützung.

BC: Abschließend: Wir gehen jetzt ja schon ein gutes Stück gemeinsamen Weges. Heuer sind Sie zum ersten Male Vortragende auf der Rust, herzlichen Glückwunsch dazu! Was ist für Sie das Besondere an den Konferenzen von Business Circle?
Nicolussi: Ich habe in den vergangenen Jahren unterschiedliche Konferenzen von Business Circle besucht, teilweise als Vortragende und teilweise als Zuhörerin. Meines Erachtens zeichnen sich die Konferenzen dadurch aus, dass die führenden Stimmen im Wirtschaftsrecht zu aktuellen, praxisrelevanten Themen referieren und diese Themen dann in einem hochkarätigen Publikum diskutieren. Besonders finde ich auch, dass Business Circle mit der Zeit geht und neben den klassischen Vorträgen auch auf interaktive Formate wie Workshops, Panel-Diskussionen und Roundtables setzt.

BC: Liebe Frau Prof. Dr. Nicolussi, wir danken Ihnen für diese interessanten Einblicke und freuen uns schon sehr, Sie kommende Woche auf der RuSt persönlich zu begrüßen!

Blog rust nicolussi 200

Prof. Dr. Julia Nicolussi forscht und lehrt an der Universität Zürich. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Handels- und Gesellschaftsrecht, Wirtschaftsrecht und in der Rechtsvergleichung. Zuvor war sie and er WU Wien und in einer großen Wiener Rechtsanwaltskanzlei. Auf der RuSt 2024 ist Sie zusammen mit Johannes Reich-Rohrwig und Johannes Zollner Gastgeberin des traditionellen „Update Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht“.

Fotos: UZH Kommunikation | WU Wien | Business Circle



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